ICH GEHE DA HIN, WO DER NAME VON JESUS CHRISTUS NOCH UNBEKANNT IST.

Apostel Paulus in Römer 15, 20

Sprachlektion oder Seelsorge?

01. Oktober 2018

Manche Beziehungen haben viele Gemeinsamkeiten mit dem Graben eines Brunnens. Vor allem, dass es Ausdauer braucht um in die Tiefe zu kommen. Gut 500 Stunden habe ich in den letzten Monaten mit meiner Sprachhelferin verbracht. Nicht nur meine Sprache hat so Fortschritte gemacht, wir haben gemeinsame Themen gefunden, die über unsere Herkunft und Kultur hinausgehen und in die Tiefe führen.

«Was denkst du, woher kommt der grösste Druck im Leben der Menschen in diesem Teil der Welt?» frage ich in einem unserer Gespräche. Sie überlegt einen Moment. Und wie in dieser Kultur üblich kommt die Antwort nicht in 3 einfachen Punkten sondern als «gewobener Teppich» in Form einer Geschichte.

Es ist die Geschichte ihrer Familie. Beim Erzählen vergisst sie ganz, dass sie in mir eine Schülerin vor sich hat. Mit voller Konzentration versuche ich dem leidenschaftlichen Redefluss zu folgen, beides gleichzeitig zu verstehen: die Sprache und den Inhalt. Ab und zu schreibe ich etwas auf was ich nicht verstehe. Aber ich spüre, dass dies nicht der Zeitpunkt ist um eine Grammatikfrage zu stellen.

Die Erzählung handelt von schwierigen Situationen, von Beziehungen, Verlusten und Konflikten. Sie wird immer persönlicher bis es schliesslich ungehemmt aus ihr herausbricht: «… vielleicht kann ich darum einfach niemandem mehr vertrauen. Ich kann nicht vertrauen!»

Am liebsten nur noch weg

Tränen strömen ihr übers Gesicht bei dieser Erkenntnis. Sie versucht sich zusammenzureissen und entschuldigt sich in aller Form für ihren Gefühlsausbruch und fügt hinzu: «Siehst du, die üble Ursache hinter allen Problemen ist in unseren Beziehungen. Wir wissen nicht, wie wir es miteinander können. Und wenn etwas zerbrochen ist, wie kann es ganz werden? Kann es je wiederhergestellt werden?

Vielleicht wollen hier deshalb so viele Menschen an einen anderen Ort. Ich will es auch – weit, weit weg von hier! Nicht wie die Anderen ins Ausland, nein. Dort ist das Gras auch nicht grüner. Und wie ich von dir höre, habt ihr dort kein gutes Fladenbrot und wisst praktisch nichts über Gastfreundschaft…

Ich will nicht ins Ausland. Aber ich will weg von meinen Verwandten, weg von meinem Stamm. Alle lästern übereinander, alle haben Krach miteinander. Wir vertrauen uns nicht. Ich vertraue nicht. Keinem. Ich kann über meine Probleme nicht einmal mit meinem Vater und meiner Mutter sprechen.»

Wir sind zerbrochen

«Und wenn ich es doch wage, dann ist ihre schnelle Schlussfolgerung, dass mein Problem wohl sei, dass ich in einen Jungen verliebt sei und dass man mich so bald wie möglich verheiraten muss. Geld und Heiraten ist alles woran sie im Leben denken... Und selbst wenn wir beides bekommen, es wird nur schlimmer. Unser grösstes Problem ist, dass wir nicht füreinander sind und nicht miteinander können. Es ist zerbrochen. Wir sind zerbrochen.»

Was sie beschreibt, gibt einen tiefen Einblick. Mehr als ich mit dieser Frage beabsichtigt hatte. Was ich sehe und höre beschäftigt mich. Und wir sind an dem Punkt angekommen, an dem ich ebenfalls mit einer persönlichen Geschichte antworten kann. Doch für heute ist der Unterricht vorbei und sie muss gehen. Hoffentlich haben wir beim nächsten Mal mehr Zeit darüber auszutauschen.

Zentralasien

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