ICH GEHE DA HIN, WO DER NAME VON JESUS CHRISTUS NOCH UNBEKANNT IST.

Apostel Paulus in Römer 15, 20

Der geheimnisvolle Innenhof

03. September 2018

Die Sonne ist noch nicht über den Horizont geklettert. Nawid presst seine Stirn auf den Teppich und murmelt die letzten Worte des Morgengebets. Dann richtet er sich auf, wendet den Kopf nach links und dann nach rechts, während er sagt «Friede sei mit dir, Friede sei mit dir.» Dann erhebt er sich, verlässt die Moschee und beginnt den langen Fussmarsch in Richtung Stadt. Der Weg ist eine Staubpiste. Motorräder und Autos knattern vorbei, während die Sonne langsam aufgeht. Ein Eselwagen mit Wasserkanistern überholt ihn und Schulkinder mit dem Koran unter dem Arm kommen ihm entgegen.

In der Stadt angekommen lässt er sich wie jeden Tag an einer bestimmten Strassenkreuzung nieder. Andere Männer strömen hinzu. Manche haben Schaufeln bei sich, andere Pinsel und Farbkessel. Kaum jemand ist ohne Werkzeug gekommen. Nun beginnt das lange Warten und das Hoffen, dass heute jemand einen Tagelöhner wie ihn brauchen wird.

Was gibt es heute zu tun?

Ein Wagen hält an und der Fahrer ruft «Du und Du! Kommt! Arbeitet in meinem Obstgarten.» Nach einem mehr oder weniger kurzen Verhandeln über die Arbeit und den Lohn steigen ein paar Männer ein. Ein paar Minuten später kommt jemand, der Mahler braucht. Wenig später wird der Elektriker abgeholt. Und so geht der Morgen dahin. Die Sonne brennt bereits heiss, als ein Motorrad anhält. Der Fahrer sagt durch seinen Turban vor dem Mund: «Komm, arbeite in unserem Innenhof. Wir bohren eine Quelle und ich habe nicht genug Helfer. Du wirst recht bezahlt.» Nawid steigt auf und die beiden knattern in Richtung Aussenquartier davon.

Das Aufstellen der Geräte und Maschinen zum Bohren ist im Gang. Die alte Bohrung sei zwar 22 Meter tief gewesen, aber – wegen des mangelnden Regens in den letzten Monaten – komplett ausgetrocknet. Erstaunlicherweise haben die Frauen des Hauses die neue Grundwasserbohrung angeordnet. Männer scheinen hier nicht zu wohnen. Oder vielleicht sind sie ja gerade auf einer Reise... Anstelle der Männer sind aber zwei Wächter anwesend, von denen der eine der Turbanträger mit dem Motorrad war. Die Frauen seien Lehrerinnen und die Gerüchte sagen, es seien sogar Ausländerinnen. Wie es sich gehört, lassen die Wächter sie und das Haus keinem Augenblick alleine mit all den Tagelöhnern im Garten. Und gilt es ein defektes Teil des Bohrers oder der Pumpe zu reparieren, ist immer einer von ihnen anwesend, während der andere zum Bazar geht, um das nötige Ersatzteil zu holen.

Gut umsorgt und fair bezahlt

Nawid sieht die besagten Lehrerinnen nicht wirklich. Es scheint derzeit sowieso nur eine hier zu sein. Und wenn sie kommt und geht, dann trägt sie einen Schleier so wie alle anderen Frauen und man sieht ihr Gesicht nicht. Vielleicht ist es ja doch nur ein Gerücht, dass sie eine Ausländerin ist? Etwas ist jedenfalls doch anders als sonst: Wenn der Wächter am Morgen mit dieser Herrin des Hauses spricht, gibt sie ihm Geld und ausdrückliche Anweisungen, dass er für genug kühles Wasser und gutes Mittagessen für die Arbeiter sorgen soll. Nawid ist froh, denn gegessen hat er heute noch nichts.

Als es am Abend darum geht, die Arbeit zu bezahlen gibt es keinerlei Diskussionen oder Betrug. Nawid geht glücklich mit vollem Lohn nach Hause. Heute kann er seiner Familie nebst einem Stück Brot sogar Gemüse kaufen. Und es werden sicher alle gespannt zuhören, was er über seinen momentanen Arbeitsort zu erzählen hat.

Das Bohren einer neuen Quelle dauert über eine Woche und der Lärm der Maschinen ist ohrenbetäubend. In 42 Meter Tiefe stossen die Arbeiter dann endlich auf Wasser. Gutes Wasser! Alle sind froh, dass die ganze Arbeit nicht umsonst war. Am meisten von allen aber die «Lehrerin», die noch nie zu vor ein Bauprojekt wie dieses managen musste.

Zentralasien

Anmelden